Eine Bildhauerin über ihre Integration von Intersektionalität in ihre Arbeit und darüber hinaus.
Diskriminierung findet häufig in unbeobachteten, manchmal privaten oder auch intimen Situationen statt. Deshalb dürften viele Betroffene in diesen Augenblicken den Wunsch teilen, dass es Dritte, Beobachter*innen, Zeug*innen gäbe. 2014 publizierte der Kulturwissenschaftler Charles P. Gause das Sachbuch Black Masculinity in America: Can I get a witness? Angelehnt daran sowie an die Geschichte des US-amerikanischen Profilings aller Schwarzer Körper durch die Polizei, ist also die zentrale Frage, die wir uns und unserer Umwelt stellen müssen: Can we get a witness – Können wir eine Zeug*in bekommen?
Die Arbeit von Professor Kimberlé Crenshaw ermächtigt jene rassifizierten, sexualisierten Personen, die Zeug*innen dringend brauchen. Sie definiert die Komplexität von Diskriminierung mit der ausgefeilten Rhetorik der Rechtswissenschaftlerin und unterstützt jene, die „das Persönliche zum Politischen“ machen müssen, um es mit dem Motto der Frauenbewegung der 1960/70er zu sagen. Ihre Arbeit hilft, jenseits persönlicher Gefühle auf Diskriminierung und Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, aber setzt zugleich unsere Erfahrungen in einen anerkannten wissenschaftlichen Diskurs.
Als Bildhauerin befasse ich mich mit Bezügen und Beziehungen. Meine Kunst bewegt sich im Rahmen der Verschränkung von Schwarzer feministischer, postkolonialer und psychoanalytischer Denkstrukturen. Meine Ideen beziehen sich auf Beziehungen zwischen Personen genauso wie auf gesellschaftliche Beziehungen. Gemeinsam haben all meine Arbeiten die Darstellung von Subjekt-Objekt-Relationen: der eine führt Handlungen aus, der oder die andere erleben sie. Die Titel unterstreichen dabei die Dynamik von Handelnden und Handlungsempfänger* innen: Fixator, Objectifier, Exoticizer, Manipulator, Positioner.
Ich versuche stets, beide Positionen ebenso ambivalent und komplex anzulegen, wie sie es im täglichen Leben sind. Und ich will Arbeiten schaffen, welche die Betrachtenden auffordern, auf beiden Seiten der Subjekt-Objekt-Dynamik Position zu beziehen und sich mit dieser Komplexität auseinanderzusetzen.
Der von Kimberlé Crenshaw geprägte Begriff der Intersektionalität enthält Komplexität und psychologische Tiefe, wie sie diejenigen erleben, die sich intersektionaler Diskriminierung ausgesetzt sehen. Crenshaw schafft mit ihrer Arbeit ein Vokabular, mit dessen Hilfe wir diese Erfahrungen verarbeiten können, indem wir sie benennen und für gültig erklären. Sie erzeugt, zusammen mit vielen weiteren starken Denker*innen in ihrem Forschungsfeld, Gültigkeit für Geschichten und Erfahrungen, die in unserer Gesellschaft offenbar erst dann institutionell anerkannt werden, wenn sie es in akademische Diskussionen oder Fachpublikationen geschafft haben.
Zeug*in zu sein und Kämpfe durch Benennung sichtbar zu machen, wird zum wichtigen Werkzeug: für die Kämpfenden, um verstanden zu werden. Und für Außenstehende und den Kampf potenziell Verursachende, um Empathie zu entwickeln. Empathie mit Erfahrungen, die nicht unsere eigenen sind, ist ein menschlicher Wert, auf dem politische Haltungen wie Solidarität aufbauen, und damit hoch produktiv.
Intersektionalität ist nicht nur hilfreich in ihrer ursprünglichen Absicht, Feminismus und Rassismuskritik zu verknüpfen, sondern hilft auch, sich die Überschneidungen zwischen Diskriminierungen aller Art vor Augen zu führen. Intersektionalität ist grundsätzlich inklusiv angelegt und darin liegt für mich sein großes Potential als zeitloses Konzept, das weiter an Bedeutung gewinnen wird, sobald die Kämpfe um gleiche Rechte und Lebensqualität noch mehr in die Öffentlichkeit dringen werden. Etwa die von LGBTQ und nicht-binären Menschen sowie religiösen Minderheiten, die sich auf je eigene Weise gegen Ableismus, Cis-Sexismus, Kolorismus und Klassismus wehren.
In einer Zeit, wo sich die verschiedensten Institutionen „Diversität“ auf die Fahnen schreiben, erscheint es dringend notwendig, den Begriff Intersektionalität auf die Herausforderung „strategischer“ Personalpolitik anzuwenden. Dringend notwendig für jene, die Menschen einstellen, um zu diversifizieren, genauso wie für die im Namen der Diversität Eingestellten. Immer wieder wählen Institutionen strategisch Jobkandidat*innen aus, die mehr als ein Minderheitenmerkmal aufweisen. Das macht uns sozusagen zu intersektionalen Diversifikatoren.
Nun ließe sich vermuten, dass das sehr gute Ergebnisse bringen könnte – da sich unsere Ansätze als intersektionale Diversifikatoren nicht auf einzelne Kämpfe konzentrieren, könnten wir idealerweise eine übergreifend kompatible Masse aufbauen. Und gleichzeitig könnten wir „auf dem Papier“ als Türöffner gedeutet werden für eine größere Anzahl an Minderheiten, dank unserer vielseitigen Identitäten.
Doch dafür müsste man über die reine Verkörperung von Diversität hinausgehen und tatsächlich die institutionellen Strukturen sowie die Politik in Frage stellen, die mit unseren jeweiligen Diversitätsmarkern verknüpft ist. Wir bringen ja nicht nur einen Körper mit, sondern auch Politik.
Diversität kann mehr sein als nur die Geste politischer Korrektheit. Ich denke, sie kann aufrichtiger Versuch strukturellen Wandels sein. Und je mehr die intersektionale Diversität zunimmt, desto größer ist die Chance, dass alle Pfeiler der Struktur, des Hauses, der Institution gründlich und kollektiv destabilisiert werden, überarbeitet und neu errichtet. Genau das muss wieder und wieder passieren.